Ist Kernenergie eine nachhaltige Energieform? Wenn es nach den Ländern Frankreich, Grossbritannien und Ungarn ginge, wäre diese Frage mit „ja“ zu beantworten. Ein Ende letzten Jahres heftig geführter Streit in der EU (Stichwort „Taxonomie“, die Lenkung von Finanzströmen in grüne Wirtschaftszweige) ging mit einem Kompromiss zu Ende. Atomenergie wurde einstweilen weder als umweltfreundlich noch als umweltschädlich eingestuft (Gas hat diesen Zwischenstatus übrigens auch erhalten).
Zutreffend und unumstritten ist dabei, dass Atomenergie vergleichsweise wenig CO2-Emissionen verursacht.
Völlig unabhängig vom Ausgang dieses Tauziehens um die strahlende Energie sieht es wirtschaftlich aber düster aus für sie. Seit der Katastrophe von Fukushima 2011 geht der Trend klar weg von der Kernenergie. Die Ratingagentur Standard & Poor‘s schrieb dazu:
Die Sorge um die Sicherheit der Kernkraftwerke und die Lagerung der nuklearen Abfälle, das Altern der Lagerstätten für Atomabfälle und der massive Kostenanstieg bei neuen Bauten legen den Sektor lahm.
Damit nicht genug: In den letzten 10 Jahren sind die Stromgestehungskosten (Kosten für die Erzeugung von Energie über die gesamte Lebensdauer eines Systems) von Windenergie um 70%, diejenigen von Solarenergie sogar um 80% gesunken. Im selben Zeitraum stiegen sie bei der Kernenergie um 26% (Quelle: World Nuclear Industry Status Report). Dies vor allen aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen an die Atomkraftwerke, die Zwischen- und die Endlagerung.
Während Atomenergie noch immer rund 10% des weltweiten Energiemix‘ ausmacht, zeigen die laufenden Investitionen ein klares Bild. 2018 belief sich sie Summe der bekannten Investitionen in Atomprojekte auf 33 Mrd. Dollar. Das war weniger als ein Viertel der entsprechenden Investitionen in Sonnen- oder Windenergie. Der World Nuclear Industry Status Report hält dazu fest:
Kernenergie ist langsam. Weder technisch noch funktionell kann sie etwas leisten, was die kohlenstoffarmen Konkurrenten nicht besser, billiger und schneller hinbekommen.

Wie geht’s also weiter? Lassen wir noch einmal Mycle Schneider, Herausgeber des World Nuclear Industry Status Reports zu Worte kommen:
Egal, ob man vorhandele Atomkraftwerke länger laufen lassen oder neue Anlagen bauen will, Kernenergie ist nicht klimaeffizient genug. Im Gegenteil, sie lenkt Investitionen von den deutlich wettbewerbsfähigeren, erneuerbaren Energiealternativen weg. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass es keine rationale Grundlage mehr für die Atomkraft gibt, welche nur noch aus politischen Gründen und mithilfe von Subventionen existiert.
Sehr interessanter Artikel, danke Roger!
Ich muss gestehen, dass ich selbst als nachhaltig denkender Mensch manchmal eine ambivalente Haltung zur Kernenergie habe. Sie hat als Übergangslösung hervorragendes geleistet, um den Fortschritt der Menschheit zu beschleunigen.
Nun können wir, wie du richtig bemerkst, nachhaltige Energie günstiger, dezentraler und geopolitisch unabhängiger herstellen. Diese nachhaltige Energie sollte den gesamten Energiebedarf eigentlich vollständig abdecken, und das sollte sowohl politisch, wie auch wirtschaftlich das Hauptziel sein.
Doch was ist, wenn’s mal nicht so läuft wie es soll? Drei Monate bewölkt und Regen. Oder ein Vulkan, der die Erde mehrere Jahre lang abdunkelt. Könnte Kernenergie diese zeitweiligen Defizite kompensieren?
Und was ist mit Kernfusion? Ist diese Energie weniger gefährlich als Kernspaltung? Und braucht es Kernfusion überhaupt, oder könnten die nachhaltigen Energien immer den gesamten Bedarf abdecken?
Auf jeden Fall sollte die Menschheit ihre Energiegewinnung möglichst breit diversifizieren:
– Wasser
– Sonne Kollektor
– Sonne PV
– Geothermie
– Wind
– Gezeiten
– dezentrale und zentrale Energiegewinnung
– dezentrale und zentrale Energie-Zwischenspeicherung
– transkontinentale/internationale Stromleitungen
– Kernfusion(?)
Meine Tochter ist letztes Wochenende aus Amsterdam zurückgekommen. Die fahren da praktisch nur noch elektrisch herum. Sie sagt die Amsterdamer seien im Thema Nachhaltigkeit viel weiter als die Zürcher. Wir haben also Potential nach oben! 🙂
Gruss, Toni
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Sali Toni
Danke für deine Überlegungen, ich bin sehr einig mit dir, wir brauchen eine gute und breite Diversifikation!
Zur Kernenergie habe ich letzthin etwas sehr Passendes gelesen: Sie sei unfairer als fossile Energieträger. Während wir unsere und die nächsten paar Generation mit CO2-Erzeugern direkt belasten, hinterlassen wir die hochradioaktiven Abfälle den nächsten 1000 Generationen! Siehe dazu auch den Beitrag https://eine-erde.ch/2017/04/17/steinzeitmenschen-und-akw/.
Somit sollten wir froh sein, dass die Erneuerbaren auch wirtschaftlich aufgeholt haben und diese Karte nun mit aller Konsequenz spielen.
Lieber Gruss,
Roger
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Hoi Roger,
Danke für die Zusatzinfos.
Radioaktivität gehört ganz normal zur Natur und zum Universum. Sie ist überall zu finden und tritt auf wenn Materie „stirbt“. Dabei wird Masse in Energie umgewandelt. Materie hat demnach quasi einen Lebenszyklus – ähnlich wie der Mensch. Man könnte weiter Schlussfolgern, dass Materie auch „geboren“ werden kann, wenn Energie in Masse umgewandelt wird.
Was der Mensch macht bei der Nutzung von Kernenergie, ist dass er die natürlich und rar auftretende radioaktive Materie einsammelt und künstlich verdichtet, bis eine kritische Masse erreicht wird.
Demnach müsste es also auch möglich sein, das Einsammeln umzukehren, und das Eingesammelte der Natur wieder zurückzugeben – so wie man es genommen hat. Eben nicht in konzentrierter Form, sondern rar.
Dabei gilt, wie wir alle wissen, je länger die Halbwertszeit, desto schwächer die Strahlung, desto weniger gefährlich.
Zugegebenermassen bin ich etwas in die Philosophie abgedriftet.
Ich will damit nur sagen, dass Radioaktivität nicht unbedingt verteufelt werden muss, denn sie ist eigentlich eine natürliche Komponente. Radioaktivität ist nur dann gefährlich, wenn der Mensch sie einsammelt und konzentriert.
Erstaunt hat mich übrigens auch, wie sich die Natur in der Region Pripyat vom Menschen erholt hat. Das hätte ich so nicht erwartet. Mutter Natur findet immer einen Weg.
Gruss, Toni
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